Impfung gegen Metastasen des Nierenkrebses - Skepsis und Kritik auf dem Berliner Krebskongress

Die vorgestellte Studie stößt sowohl in der "Süddeutschen Zeitung" wie auch auf dem Berliner Krebskongress auf Kritik und Skepsis. Der Pharmakonzerns STADA kauft für 6,4 Millionen Euro sechzehn Prozent des Krebsimpfstoffherstellers LipoNova und plant den Erwerb von weiteren 16 % für 8 Millionen Euro nach Impfstoffzulassung.

In einem am 1. März 2004 in "FAKT und FAKE" erschienenen Artikel berichtete ich über die im Lancet veröffentlichte Studie Lübecker Urologen um Dieter Jocham und Christian Doehn: "Kontrolle vs. Adjuvante Tumorvakzine beim lokal fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom".

Schon vor Erscheinen meines Textes wurde am 24.02.2004 in der Süddeutschen Zeitung ein sehr kritischer Artikel zu dem Thema mit dem Titel: "Verpasste Chance - Neue Krebsimpfung lässt wesentliche Fragen unbeantwortet" veröffentlicht. Darin zitierte der Autor Klaus Koch einen Experten der Ruhr-Universität Bochum, Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Hans Joachim Trampisch - Interessenschwerpunkte: Methodik der Arzneimittelprüfung; Methodik der Entscheidungsfindung - wie folgt: "Die Studie hat so schwere Mängel in der Planung, dass sie nicht als Beweis für die Wirksamkeit des Impfstoffes gelten kann." und "In dieser Studie wurden viele für gute Studien typische Vorkehrungen gegen Verzerrungen außer acht gelassen."

In dem Artikel von Klaus Koch, einem ausgezeichneten Medizinjournalisten, wurde auch über die 1996 erfolgte Ablehnung der Studie durch die AUO (Arbeitsgemeinschaft Urologische Onkologie) berichtet, sowie ausgeführt, dass es die AUO abgelehnt hatte, Patienten eine Teilnahme an der Lübecker Studie zu empfehlen.

Auf dem kürzlich zu Ende gegangenen Krebskongress in Berlin (27.02.2004 - 01.03.2004) wurden erneut von verschiedenen Experten Kritik an der Durchführung der Studie geäußert und der Wert einer möglichen Behandlung angezweifelt.

Der Nutzen einer Behandlung wird in der Onkologie an zwei Merkmalen festgemacht. Da ist zum einen, die Minderung von Schmerzen und anderen Unannehmlichkeiten, die im Zusammenhang mit der Behandlung auftreten können. Der zweite Effekt, den man anstrebt, ist eine längere Überlebensfrist.

Der Lübecker Forscher und Urologe, Christian Doehn betonte, die Studie hätte ergeben, dass in der behandelten Gruppe seltener Metastasen (23 von 100) aufgetreten seien, als in der unbehandelten Gruppe (32 von 100).

Bei den an der Lübecker Studie beteiligten Patienten wurden zur Überlebensfrist keine Angaben gemacht, sondern nur zu dem Auftreten von Metastasen. Ob den mit der Impfung behandelten Kranken eine längere Überlebenszeit als unbehandelten Patienten in Aussicht gestellt werden kann, dazu konnten die Autoren der Studie keine endgültigen Aussagen treffen. Zwar ist anzunehmen, dass Patienten, bei denen keine Metastasen auftreten, länger leben, als solche mit Metastasen, aber der unmittelbare Beweis hierfür ist in der Lübecker Studie nicht erbracht worden, musste auch der Verfasser des Berichts, Christian Doehn einräumen.

Ein von mehreren Fachleuten geäußerter Kritikpunkt betrifft die Nachuntersuchungen, bei denen den untersuchenden Röntgelogen bekannt war, ob sie einen geimpften oder unbehandelten Erkrankten untersuchten. Prof. Kurt Miller, Chef-Urologe am Universitätsklinikum Charité/Berlin, führte dazu folgenden Einwand ins Feld:

"Allein dieses Wissen könne beeinflussen, zu welchem Befund ein Röntgenarzt komme. Es kann sein, dass der Therapiearm zu optimistisch beurteilt wird. Natürlich gibt es viele eindeutige Befunde, wo man sagt: keine Frage das ist hier eine Metastase, und das wird jetzt auch so interpretiert. Es gibt aber auch Befunde, die interpretierbar sind."

Auch um den Impfstoff als solchen gab es Differenzen, so bezeichnete der Biochemiker Dr. Stefan Stevanovic von der Universität Tübingen, es als ein Problem, dass ähnliche Präparate wie der von den Lübeckern verwandte und der LipoNova erzeugte undefinierte Impfstoff, von manchen Leuten schon als "teuflisches Gebräu" bezeichnet worden seien.

Bei einer geringen Anzahl von Tumorarten sind Forscher in der Vergangenheit zu einer gesicherten Erkenntnis darüber gelangt, was Tumorzellen von normalen, nicht erkrankten Zellen unterscheidet. Daher wählten die Lübecker Urologen den Weg, bei der erzeugten Vakzine nur Fragmente der Tumorzellen des Patienten zu verwenden und beabsichtigten mit diesen Impfstoff, dessen Ungefährlichkeit sie im Tierversuch nachgewiesen hatten, die Körperabwehr zu lehren, selbsttätig den Tumor zu bekämpfen.

Ungeachtet der schon lange bekannten Einwände hat der in Hannover beheimatete Arzneimittelhersteller LipoNova die europaweite Zulassung des Impfstoffes beantragt.

Der Grund hierfür mag auch in der weithin unbeachteten Tatsache liegen, dass der Pharmakonzerns STADA die europäischen Rechte an dem von der LipoNova entwickelten Impfstoff erworben hat. Des weiteren wird von der Landesbank Rheinland-Pfalz am 27.02.2004 gemeldet, dass die STADA für einen Betrag von 6,4 Mio. € 16 % der LipoNova erworben hat und nach erfolgreicher Zulassung weitere 16% für 8 Mio. € erwerben wird.

Der Titel des deutschen Pharmakonzerns STADA wurde auf Grund dieser Meldung und den optimistischen Medienberichten zur Tumorimpfung von den Analysten der Landesbank Rheinland-Pfalz am 27.02.2004 mit dem Votum "Outperformer" (Fonds, die in einem bestimmten Betrachtungszeitraum eine bessere Performance (Wertentwicklung) als ihr Vergleichsindex /ihre Benchmark erzielen, bezeichnet man als Outperformer) bewertet.

Quellen:

http://www.dradio.de
http://www.dradio.de
http://www.amib.ruhr-uni-bochum.de
http://www.sueddeutsche.de
http://www.kukm.de
http://www.kukm.de
http://boersenlexikon.faz.net
http://nachrichten.boerse.de
http://www.evibase.de

Kommentar

Auf dem Berliner Krebskongress erweist es sich wieder einmal, dass die sogenannte Krebsimpfung eine umstrittene Methode war, ist und bleibt.
Selbstverständlich hoffen alle Erkrankten und auch deren Angehörige sowie die mit dem Thema beschäftigten Ärzte auf eine Behandlungsmöglichkeit für den metastasierenden Nierenkrebs, aber der Weg dahin ist noch lang, folgt man den Aussagen der Experten auf dem Berliner Kongress.

Es bleibt die Frage offen, inwieweit sich Arzneimittelfirmen und Ärzte von der Hoffnung auf "Ruhm, Ehre und finanziellen Erfolg" zu Aussagen und Spekulationen hinreißen lassen, die sich dann doch als unbeweisbar herausstellen.

Zu der von den Lübecker Urologen und der LipoNova vorgestellten Studie fällt es mir schwer eine abschließende Beurteilung abzugeben, denn ich setze als mittelbar Betroffener - ich war an Nierenkrebs in einem frühen Stadium (T1;N0;MO;G2) erkrankt, bei mir wurden zum Glück bis heute keine Metastasen festgestellt - naturgemäß mehr Hoffnung in neue Behandlungsansätze, als ein Mensch, der nicht betroffen ist. Es gibt Fakten, die für die vorgestellte Methode sprechen, jedoch wurden auch Fakten bekannt, die meine Skepsis schüren.
Da ist der Beginn der Studie im Jahre 1997 nach der Ablehnung durch die AUO.
In den Verlauf der Studie fällt das bittere Scheitern der Göttinger Urologen, deren Methode der jetzt vorgestellten Impfbehandlung für den Laien im Ansatz ähnelt.
Die von den verschiedenen Institutionen und Wissenschaftlern geäußerten Einwände bezüglich der Durchführung der Studie wurden weder von den Lübecker Urologen noch von der LipoNova entkräftet.
Die Beteiligten nennen häufig zum Beleg ihrer Thesen Zahlen deren numerischer Wert am höchsten ausfällt. So sind es die Daten von 553 Patienten, auf die sich die Studie stützt und nicht die 379 die letztlich übrig blieben, der Prozentwert der erfolgreich Behandelten wird mit 30 % belegt, ein relativer Wert, dem zwölf Prozent als tatsächlicher Erfolg gegenüberstehen.

Einen kritischen Bericht des deutschen Ärzteblatts versuchte die LipoNova mit anwaltlicher Hilfe zu korrigieren und hatte damit Erfolg. Trotzdem eine ungebräuchliche Vorgehensweise, auch wenn man die Tatsache betrachtet, dass dort nichts wesentlich anderes geschrieben wurde, als man es in der Süddeutschen Zeitung nachlesen konnte und ähnlich wenig später beim Berliner Krebskongress geäussert wurde.

Mir liegt inzwischen die Werbebroschüre der LipoNova vor, die sich weniger durch klare Fakten, als durch eine einem Wellnessangebot ähnelnde Aufmachung auszeichnet - zumindest hatten von mir befragte, unbeteiligte Personen und auch ich diesen Eindruck. Der Text enthält mehr skurrile Formulierungen als meine fehlerhaften Manuskripte.
Die Fotografien lachender Menschen und stimmiger Situationen werden präsentiert; ich nehme an, dem Betrachter soll unterschwellig suggeriert werden, wie glücklich man doch dank Hilfe der LipoNova mit einem Nierenzellkarzinom werden kann. Diese Suggestion ist degoutant und wird auch von Christian Doehn, dem Lübecker Studienautor widerlegt, wenn er ganz klar aussagt:
"... denn wenn ein Patient eine Metastase vom Nierenzellkarzinom bekommt, dann lebt er durchschnittlich ein bis anderthalb Jahre."

Wesentlich erscheint mir auch die Information über die finanzielle Beteiligung der STADA an der LipoNova, dies spricht dafür, dass an die eventuelle Zulassung des Impfstoffs die wirtschaftliche Zukunft der Firma und ihrer Besitzer gebunden ist, wahrlich ein gutes Argument für eine euphemistische Betrachtungsweise.

Ich bleibe bei meiner Aussage, dass die Früherkennung von Tumorerkrankungen - insbesondere des Nierenzellkarzinoms - die beste Chance auf Heilung bietet und kann nur empfehlen, dass man in der Gesundheitsfürsorge das Augenmerk auf die Förderung von möglichst umfassenden, aussagekräftigen Vorsorgeuntersuchungen durch speziell ausgebildete Ärzte richtet. Zur Zeit ist er größte Mangel in der Praxis der Vorsorgeuntersuchungen die Fehldiagnose, mir erscheinen Investitionen in Ausbildung der Ärzte und die Erforschung von Untersuchungsmethoden ein vielversprechenderer Weg als die Investition in Verfahren, die sich in der Vergangenheit als undurchführbar erwiesen haben.

Selbstverständlich gebe ich mit meinem Kommentar nur meine subjektive Ansicht wieder.







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Grund ist eine am 21. Februar 2004 in dem renommierten Fachblatt "Lancet" (http://www.lancet.com) veröffentlichte Studie, mit der die Wirksamkeit einer Krebsimpfung nachgewiesen werden soll. Die vorgestellte Behandlung bezieht sich auf die spezielle Krebsart: "Nierenzellkarzinom"....zum Artikel




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